Es war ein warmer Herbsttag im September 2015 in Wien und die Stadt steckte damals in der sogenannten „Flüchtlingskrise“. Ich war damals (und bin noch) Studentin und habe fast jeden Studentenjob gemacht, den es so gab. Von Promotorin bis Maskottchen-Begleiterin, war ich unteranderem auch als Ordnerin bei Veranstaltungen für eine Security-Firma tätig.
Die damalige Lage für geflüchtete Menschen war sehr kritisch und tagtäglich änderte sich die rechtliche und politische Lage dazu. In dieser Zeit wurde die Grenze zwischen Deutschland und Österreich gesperrt, was dazu führte, dass tausende Geflüchtete notfalls einquartiert werden musste. Einer dieser Standorte war das Dusika-Stadion im 2.Bezirk und dies verlangte eine hohen Bedarf an Arbeitskräften. Neben den Freiwilligen, welche die Menschen vorort versorgte, gab es die OrdnerInnen, welche für die Sicherheit für alle zuständig waren. Da kam ich ins Spiel – als Ordnerin im Dusika-Stadion.
In einer Woche habe ich ein paar Nachtschichten im Stadion gemacht, und nahm immer meinen Rucksack mit Essen und einem Buch zu lesen mit, weil es vor allem gegen Mitternacht ziemlich langweilig wird. Es war ziemlich hektisch damals, und stündlich kamen Busse und brachten die geflüchteten Menschen zur Grenze, auch in der Nacht. Jedes Mal, wenn ein Bus voller Menschen verschwand, arbeiteten die Freiwilligen und die Ordnern Vorort zusammen um die hinterlassenen Sachen wie Kleidung, Taschen, Decken, etc. zu sammeln und sind zur mobilen Müllpresse hinter dem Stadion zu bringen.
Nachdem der letzte Bus in dieser Nacht weggefahren ist, habe ich wie üblich meine Position verlassen und bin mit den Kollegen in die Halle gegangen um beim Aufräumen zu helfen. Dabei habe ich meinen Rucksack am Eingang zur Halle liegen gelassen, sowie die anderen OrdnerInnen. Wir mussten alles wegräumen, was in der Halle verstreut lag. Matten, Taschen, Windeln, Schuhe, so ziemlich alles. Nach gut, einer Stunde waren wir fertig und ich wollte meinen Rucksack holen, als ich bemerkt habe, dass er dort gar nicht mehr lag. Ich habe jeden Arbeiter gefragt, ob er meinen blauen Rucksack gesehen hat. In Panik bin ich zweimal durch das ganze(!) Stadion gelaufen, als ich dem Koordinator Michael (Name geändert) in die Arme gelaufen bin. Er war so lieb und hat alle anderen Supervisor und Mitarbeiter durchgefunkt um nachzuforschen. Bis dann eine Reinigungskraft zu uns kam und mir bestätigte, dass sie einen ähnlichen Rucksack gefunden hat. Es hat sich herausgestellt, dass sie dachte, dass mein Rucksack einem Geflüchteten gehört und hat es samt mit den anderen Sachen zur Müllpresse gebracht. Michi und ich sind sofort zur Müllpresse gelaufen, welche voll im Gange waren. Er befahl dem Mitarbeiter die Auslage auszuschalten und rief bei der Notfallnummer der MA48 an.
Ich musste bis 6 Uhr morgens auf einen Müllwagen warten, der mit mir und der mobilen Presse im Anhang zum nächsten Müllplatz fuhr. Dort haben sie vor meinem Augen die komplette Müllpresse auf dem Platz entleert bis ich meinen halb zerquetschten Rucksack fand! Die Flasche Multivitaminsaft in meiner Tasche ist schon geplatzt und hat meine Geldbörse inklusive Geldscheinen, das Buch Divergent und meine Weste durchnässt. Selbst die kleinen Ringe an meinem Schlüssel sind verformt und meine Kopfhörer sind klein gepresst worden. Die Mitarbeiter waren super gut drauf und haben mir versichert, dass sowas offenbar öfters passiert als man denkt und dass mein Rucksack nur zur Hälfte in der Presse lag, weshalb man es noch rausziehen konnte. Mit einem Müllsack, wo mein stinkiger Rucksack war, bin ich mit der Straßenbahn heimgefahren.
Meine Mutter konnte es mir nicht abkaufen was passiert war und meinte nur zu mir: „Du solltest besser auf deine Sachen aufpassen!“ Nun, ich habe meine Lektion gelernt.
Diese Story habe ich im Rahmen der #ganzwien Story-Challenge Ende September 2019 auf www.story.one veröffentlicht und war einer von 17 Geschichten, welche in einem Buch gedruckt wurde.
Siehe: https://www.story.one/de/u/marilynthesecond/mein-rucksack-war-in-der-müllpresse/
